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26.06.2014 18:30 Alter: 10 yrs
Kategorie: Kultur

Interview mit FLATZ


Im Rahmen der „ORF Langen Nacht der Museen“ am 5. Oktober 2013 hatten die SchülerInnen des Wahlpflichtfaches Kulturvermittlung – Fabienne Cumme, Susanne Büchel, Nina Latzl, Emanuele Ospelt, Bernadette Ramspeck, Jessica Schwarzl, David Stecher, Laura Stürz und Beate Tschütscher – die Möglichkeit, im FLATZ Museum den Künstler FLATZ zu seiner Kunst zu befragen.

Ein Auszug aus dem Interview >

FLATZ: Fangen wir an mit dem Frage-Antworten-Spiel.

Laura: Ich möchte gerne wissen, wie Sie Künstler wurden. Wie hat alles angefangen?

FLATZ: Das ist ganz witzig. Das hat mit 14 Jahren begonnen. Ich bin ja Arbeiterkind. Mein Vater war Bergbauer und Eisenbahner. Ich bin sehr früh vom Gymnasium geflogen und mein Vater hat damals gesagt, dass er mir die Schule nicht mehr zahlen würde, also habe ich zuerst eine Lehre gemacht und dann den zweiten Bildungsweg beschritten.
Es gab in meiner Nachbarschaft einen Burschen, der war in der Sonderschule, aber er hat ein außergewöhnliches zeichnerisches Talent gehabt, er konnte zeichnen, wie man Fotografien macht und ich hab ihn immer bewundert weil ich das nicht hingekriegt habe.
Das war sozusagen mein erster Anreiz, aber das Entscheidende war, es gab in der Zeit in der ich aufgewachsen bin -1952 geboren- eine Reihe von Illustrierten, die es z.T. heute noch gibt, wie Quick oder Stern, und diese Illustrierten hatten immer auf der letzten Seite Cartoons. Und auf jedem dieser Cartoons, das ist bis in die 70er Jahre so gewesen, gab es immer einen Witz über zeitgenössische Kunst – meist ist da ein Affe vor einer Staffelei gesessen, damals wurde damit Picassos Kubismus lächerlich gemacht. Die Botschaft war, jeder Affe kann das auch. Und ich weiß noch, intuitiv hab ich begriffen, dass Kunst mehr ist als das was der Junge aus der Nachbarschaft mit seinen perfekten Zeichnungen gemacht hat. 
Da ist in mir das Bedürfnis entstanden Künstler zu werden. Ich wusste damals aber gar nicht, dass man das auch studieren kann. Ich habe nach der Lehre ein Begabtenstipendium bekommen und damit mein erstes Studium begonnen. So bin ich Künstler geworden.

Susanne: Was mich interessieren würde, in Ihren Performances werden die Zuschauer manchmal zu „Tätern“. Was denken Sie über diese Zuschauer, die da plötzlich Dartpfeile auf Sie werfen und Sie dabei verletzen?

FLATZ: Ich habe keine moralischen Überlegungen. Ich bin keine moralische Instanz. Ich mach Kunst und Kunst ist jenseits von Moral. Ich sag es mal ganz anders, Kunst gibt keine Antworten, Kunst stellt nur Fragen und die Fragen muss sich der Betrachter stellen. Ein Kunstwerk ohne Betrachter ist gar nicht existent. Ein Kunstwerk funktioniert erst über den Betrachter, durch die Interaktion und natürlich kann man jetzt sagen, bei vielen Arbeiten aus den 70er Jahren hat die direkte Interaktion zwischen dem Entstehen des Kunstwerks, zwischen dem Künstler und dem Betrachters, eine Rolle gespielt aber auch sich selber. Ich sehe mich da nicht als Mensch, ich bin Material und wie ein Maler Pinsel, Farbe und Leinwand verwendet, habe ich meinen Körper als Material benützt. Es geht mir also nicht um moralische Dimensionen.

Fabienne: Wie entstehen Ihre Kunstwerke? Denken Sie da bei der Planung gleich auch an die Reaktionen des Publikums? Kann man die Reaktionen vorhersehen? Wie geht man damit um?

FLATZ: Ich war noch Student und die Ausstellung hieß Europa 79, 1979 eine sehr wichtige Ausstellung, es wurden 100 Museumsdirektoren gebeten einen Künstler vorzustellen, von dem sie annahmen, dass dessen Kunst Bestand haben wird, und ich wurde auch eingeladen.
Ich hatte einen guten Freund, ein sehr berühmter Künstler, ein Maler, Günther Förg. Für diese Ausstellung habe ich mir ein Projekt mit Wurfpfeilen überlegt, habe die Wurfpfeile besorgt, sie ihm in die Hand gedrückt und mich an die Wand gestellt und dabei zu ihm gesagt, jetzt wirf mal. Und er hat mich gleich abgeschossen, der Pfeil ist in meiner Schulter gesteckt und da hab ich Schiss gekriegt und gedacht, ich lass das jetzt lieber, sonst bring ich es dann auf der Ausstellung nicht. Das sind so kleine Vorgeschichten, ich erzähle das auch, weil daran fast eine Freundschaft zerbrochen ist.
Der Veranstalter der Ausstellung war die Stadt Stuttgart und der deutsche Kunstverein und die haben damals mit mir gewettet, dass keiner werfen wird, um 1000 Mark, was damals viel Geld war. 500 Mark sollte der kriegen, der mich trifft. Ich war mir 100-Prozent sicher, das Publikum würde werfen. Und ich habe die 1000 Mark auch gewonnen.

Es gab im Publikum eine sonderbare Atmosphäre, die Leute haben sich gestritten haben, wer zuerst dran kommt. Und ich kann mich auch noch genau daran erinnern, dass der Erste, der getroffen hat, es war ein 45 jähriger Mann, offenbar ein Profi war. Er hat bei seinem Wurf zuerst angetäuscht und dann, als ich ausgewichen bin und am Boden lag, da hat er dann durchgezogen. Witzig war, dass im Augenblick, wo ich am Boden lag, wo ich getroffen war, der Pfeil gesteckt ist,  ein Blutfaden ist geflossen, da hat sich das Publikum, die Reaktion des Publikums um 180 Grad gewendet und sie wollten den Typen, der getroffen hat, fast lynchen und das obwohl sie sich davor so gestritten haben, wer werfen darf.

Nina: Gab es denn dazu auch Meinungen in der Öffentlichkeit, Reaktionen in den Medien? Welche?

FLATZ: Es gab natürlich ein wahnsinniges Medienecho, die ganze Boulevard Presse hat sehr negativ darauf reagiert – pervers, Selbstmörder auf der Bühne – und der mediale Druck auf den Kulturreferenten der Stadt Stuttgart wurde so groß, dass er öffentlich verkündet hat, die Ausstellung wird geschlossen, obwohl da noch 99 weitere Künstler ihre Arbeiten gezeigt haben. Mich haben dann die Veranstalter angerufen: „Du hast ein Video gedreht, kannst du uns das nicht schicken?“. Auf diesem Video war zu sehen, dass der Kulturreferent auch geworfen hatte. Daraufhin sind sie zum Kulturreferenten und haben ihn erpresst, dass, wenn er die Ausstellung schließt, das Video veröffentlicht wird. Die Presse hat aber nachrecherchiert, und durch eine Indiskretion sind sie an diese Video gelangt. Der Kulturreferent musste seinen Hut nehmen, nicht weil er geworfen hat, weil er gelogen hat, weil er eine Doppelmoral an den Tag gelegt hat. Das sind alles Facetten, die zu dieser Arbeit gehören.

Beate: Sie unterrichten auch und ich würde gerne wissen, was Ihre Schüler und Schülerinnen von Ihrer Kunst halten?

FLATZ: Sie würden nicht zu mir kommen, bei mir  studieren wollen, wenn sie meine Arbeit nicht geil finden würden. Ich nehme mal dieses Slangwort um zu bezeichnen, dass sie doch sehr interessiert sind an meinen Arbeiten. An den Kunstakademien bewirbst du dich ja bei einem Professor persönlich und daher ist es naheliegend, dass die Bewerber sich mit seiner Kunst etwas auseinandergesetzt haben. Aber ich möchte dazu sagen, dass meine Aufnahmeprüfungen immer sehr hart waren, weil ich der Meinung bin, man raubt den jungen Menschen das Leben, wenn man ihnen das auf dieser Stufe zu leicht macht. Bei mir war immer das wichtigste Kriterium, ob der Student oder die Studentin bereit ist für ihre künstlerische Arbeit ihr Leben zu geben, symbolisch natürlich. Weil Kunst einer der härtesten und radikalsten Berufe ist, grad wenn man mit seiner Kunst etwas bewirken will. Weil ich der Meinung bin, und ich weiß es heute, von hunderttausend Akademieabgängern schafft es vielleicht einer international durchzukommen. Aber es gibt natürlich auch welche die sich national oder regional durchsetzen und welche, die von ihren Freunden leben.

Emanuele: Mir ist noch spontan eine Frage eingefallen: Denken Sie denn, dass jeder Mensch Kunst machen kann?

FLATZ: Joseph Beuys hat einmal gesagt, jeder Mensch ist ein Künstler. Was aber beim Zitat von Beuys immer vergessen wird, dazu zu sagen, nicht jeder ist ein Profi. Und das ist entscheidend. Ich bin schon der Meinung, dass in jedem Menschen kreatives Potential steckt, das es zu fördern gilt, das heißt aber noch lange nicht, dass er Künstler werden muss oder Künstler werden kann. Da gehört schon ein bisschen mehr dazu.

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http://www.flatzmuseum.at/

…Fotos (© Darko Todorovic)...