< Projektwoche NAWICAL 2019 der Klassen 6c und 7c
21.02.2019 19:50 Alter: 5 yrs

Geschichten-Orte suchen und finden


Wo sucht man eigentlich, wenn man eine wirklich gute Geschichte finden will? Im eigenen Kopf? Auf dem Schreibtisch? Im Klassenzimmer? Die writers:class des Gymnasiums Schillerstraße Feldkirch hat etwas Neues ausprobiert und ist mit Autorin Andrea Gerster zum Bahnhof aufgebrochen. Dieser Ort, der angefüllt ist mit den Geschichten der Ankommenden, der Weiterreisenden, der Abfahrenden und der Wartenden, wurde für einen Vormittag zum Schreibort der Klasse 2a des GYS. Bevor der Stift gezückt wurde, gab Andrea Gerster wertvolle Tipps, die das Finden und Einfangen der herumschwebenden Geschichten für die Schüler_innen leichter machten: Gespräche aufschnappen, die Kleidung und Koffer der Personen genau anschauen. Ist der Mantel neu und wie aus dem Ei gepellt? Sieht man dem Koffer vielleicht anhand von Schrammen und Aufklebern seine langen und weiten Reisen an? Wo kommt der Koffer wohl gerade her und was hat er dort gesehen?

Mit derart wachen Sinnen und geschärftem Bewusstsein öffneten die Schüler_innen der writers:class Augen und Ohren auf besondere Weise und wurden reich beschenkt. Plötzlich waren überall Inspirationen, versteckten sich ganze Geschichten in wenigen sicht- und hörbaren Details. Mit jeder Menge Notizen im Gepäck fuhr die writers:class zurück ins Klassenzimmer, um dort alles Eingefangene zu facettenreichen Geschichten aufzufalten.

writers:class

Die writers:class ist ein Modellprojekt für Schüler_innen verschiedener Schulformen und -stufen, entwickelt am Gymnasium Schillerstraße gemeinsam mit literatur:vorarlberg netzwerk. Über vier Jahre lang wird die jetzige Klasse 2a am Gymnasium Schillerstraße bis zum Ende der Unterstufe als Klasse mit einem deutlichen Schwerpunkt auf dem Schreiben, Lesen und der Sprache geführt. Dafür wird die Klasse von der Autorin Andrea Gerster begleitet und immer wieder auf unterschiedlichen Wegen zum lustvollen Schreiben eingeladen. Begleitend dazu ergeben sich Jahresschwerpunkte, wie z. B. Debatte, Rhetorik, Illustration, Buchdruck, Literaturkritik oder auch das Hörspiel. Diese Vertiefungen setzen die Klasse nach und nach mit den Akteuren der regionalen Literaturlandschaft in Beziehung und machen sie mit deren vielfältigen Möglichkeiten vertraut.

Mit freundlicher Unterstützung von double check (Land Vorarlberg) und dem Vorarlberger Kulturservice!

Projektleitung

KV Mag. Sylvia Heinzle
Dipl. Kult.Man. Frauke Kühn

 

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Kurzgeschichten writers:class

 

Bahnhof | Theresa Breier
Eigentlich sollte er schon wieder auf dem Weg zurück nach Indien sein, um dort seine schlecht bezahlte Arbeit wieder aufzunehmen. Nachdem er sich entschlossen hatte, zu uns zu reisen, sah er sich direkt nach einer Arbeit um, die er aber nicht fand. In Indien wartete seine Frau auf ihn und dachte, er würde sie abholen kommen, um alle mitzunehmen. Sie würde schrecklich enttäuscht sein. Deshalb wollte er gar nicht zurück, er fand, es würde das Beste sein, einfach unterzutauchen und nie mehr zurückzufahren. Zwar hatte er ein Ticket, den Zug hatte er aber abfahren lassen. Er erinnerte sich an die letzten Tage,  an denen er sich eine billige Unterkunft suchen musste und glücklicherweise jede Nacht eine gefunden hatte. Am Morgen war er immer herumgezogen und hatte eine Arbeit gesucht, jedoch keine gefunden. Jetzt kaufte er sich von seinem letzten Geld noch etwas zu essen. Er entschloss sich dazu, am nächsten Tag zu versuchen, ohne Fahrkarte nach Indien zu kommen, egal wie. Vielleicht konnte er mit ein paar Zügen an irgendeine Küste gelangen und sich dort in ein Frachtschiff schmuggeln. Zurück in seiner Heimat würde er mit seiner Arbeit fortfahren.

Ich, Karlo, ein 26-jähriger Serbe | Magnus Gutensohn

Ich bin Karlo, ein sechsundzwanzigjähriger Serbe und wohne in Tosters in einer kleinen Wohnung. Ich trage einen schwarzen Jogging-Anzug, ein schwarzes Käppi und ebenso pechschwarze Schuhe. Ich trage nämlich immer nur schwarze Kleidung – das ist so etwas wie ein Markenzeichen von mir. Mein Körperbau ist eher fester, was mich aber nicht weiter stört. Mein Gesicht hat leichte Pausbacken, längliche Augen, einen Stoppelbart und wird von einem Piercing am Augenlied gekürt. Ich habe braune Augen und meine Hautfarbe ist auch braun. Alle Leute sagen immer, dass ich so ein typischer Gangster sei, mit meiner Körperhaltung und der traurigen Mimik. Eigentlich bin ich aber nett. Ich bin nur immer traurig, weil ich an meine verstorbenen Eltern denken muss, die an einem Autounfall gestorben sind. Heute habe ich in der einen Hand eine Zigarette, in der anderen einen blauen Stoffsack und eine Energy-Drink-Dose. Das also bin ich.

Heute war ich schon um sieben Uhr wach, denn ich hatte einen Arzttermin. Um neun Uhr war ich fertig mit dem Arzttermin und ging in einem Café frühstücken. Um zehn Uhr ging ich zum Bahnhof, um mich mit meinem Freund zu treffen. Dort rauchte ich meine Zigarette und trank meinen Energy-Drink. Um elf Uhr kam mein Zug, der mich nach Innsbruck in ein Seminar bringen sollte, da ich mich weiterbilden will. Als Kind hatte ich in Serbien nicht so gute Verhältnisse und auch eine schlechte Ausbildung. Und das habe ich jetzt davon: Alle meinen, dass ich ein Gangster bin, und verdienen tu ich miserabel. Also will ich mich fortbilden und ein neues Leben starten.

Also, um elf Uhr kam der Zug ohne Verspätung, sodass ich pünktlich um zwei Uhr in Innsbruck war. Ich schaute mir am Nachmittag die Altstadt an und ging am Abend essen. Um Mitternacht schlief ich wohl und zufrieden in meinem Bett in einem Hotel, abgelegen von der Innenstadt von Innsbruck, ein.